Bevor wir zur Reise starten wollen wir einen kleinen Umweg gehen, denn zur Reise gehören zwei kleine Geschichten. Zuerst gab es einen Unfall mit unserem Auto, bei dem wir mit unserem Fiat
500 einen Bus gerammt haben. Das ist weder klug noch kann man dabei irgendetwas gewinnen. Aber so kam es zu einer "kleinen" Reduktion im Urlaubsbudget. Statt nun frustriert auf dem Sofa zu sitzen
und Schokolade in sich rein zu werfen wurden lieber mehrere Abende Google und Youtube ausgequetscht und so kamen wir auf die Etsch und auf einen der schönsten Radwege in Europa.
Die zweite Geschichte ist die, dass wir alle den Film "Immer die Radfahrer" von Heinz Erhardt lieben. Wer ihn nicht kennt, sollte sich einen netten Abend im Puschenkino machen und den Film
ansehen. Zum Beispiel gibt es ihn bei diesem Online-Buchhändler. Der Film ist thematisch überraschend zeitlos. Auch damals wurde schon über Entschleunigung oder die für die Eltern teilweise unergründlichen
Verhaltensweisen der Jugend gesprochen und es gab ebenso die Illusion, das damals alles besser war. In dem Film von 1958 starten Friedrich Eilers (Heinz Erhardt), ein Likörfabrikant, Ulrich
Salandt (Hans-Joachim Kulenkampff), ein berühmter Filmstar und Johannes Büttner (Wolf Albach-Retty), ein Gymnasialprofessor, auf ihren Fahrrädern eine Reise durch das Kärntner Land nach
Burgsteinach.
Eines Abends saßen wir beim Abendbrot und unser Sohn sagte, dass wenn wir schon so eine Tour machen, denn aber bitte auf Rädern wie bei Heinz Erhardt. So ein Satz von einem Fünfzehnjährigen fällt
bei uns natürlich sofort auf fruchtbaren Boden. Ein altes hellgrünes Hercules mit Torpedo Dreigang steht schon im Keller und wird seit Jahren für Ausflüge zu "unwichtigen" Orten in
Norddeutschland genutzt. Wer war schon einmal beim tiefsten Punkt Deutschlands? Die nächsten Wochenenden wurden nun die Flohmarkte nach einem weiteren Rad mit Erfolg abgesucht. Zum
Taschengeldkurs kam ein Elite Damenrad von 1964 dazu. Es stand in einem wirklich traurigen Zustand auf dem Flohmarkt und es wollte selbst bis zum Abend keiner haben. Uns hatte es sofort
begeistert, denn die Aufkleber, Decals und Farbe waren herrlich und alles war im Originalzustand. Sogar die Lenkergriffe waren noch nie gewechselt worden. Schnell waren die Lager gefettet,
die Schaltung repariert und alles poliert.
Die erste Testfahrt ging zur Arbeit entlang der Alster. Der Sattel drückt, richtig rollen mag es nicht, die Geometrie ist eher Autsch und die Bremsen überzeugen durch
vielseitige Geräusche und nicht durch kurze Bremswege. Also, alles perfekt und wir können starten.
Der Weg zurück über Eimsbüttel, Lokstedt, Fühlsbüttel (mit einigen wunderbar gut versteckt liegenden Schrebergartensiedlungen), das Niendorfer Gehege, Langenhorn und Norderstedt war Testlauf
zwei. Obwohl man sich in der Stadt Hamburg bewegt, ist es oft total Grün und man radelt zum Beispiel entlang der Tarpenbek, so dass man sich eher wie auf dem Land fühlt.
36 Kilometer später sieht die Welt schon anders aus. Gelernt habe ich, dass man auf alten harten Sätteln nie mit schwerem Rücksack fahren sollte. Das zusätzliche Gewicht macht sich recht schnell
bemerkbar und da wir nicht zehn Tuben Wundsalbe mitnehmen möchten, muss alles in die Satteltaschen.
PS: Wenn man langsam aber sich er älter wird, wird der Körper scheinbar intoleranter gegen geringer Abweichungen vom Ideal. Zumindest meldet mein Knie am nächsten Morgen, dass es deutlich andere
Vorstellungen von der Fortbewegung hat. Aber das kenne ich schon und werde wie gewohnt mit Sätteln, Kurbeln und der Geometrie spielen, um es doch halbwegs hin zu bekommen.
Die letzte Fahrt in Hamburg führte an den Ursprung unserer Idee. Wir sind nach Ohlsdorf geradelt, um das Grab von Heinz Erhardt zu besuchen. Es liegt etwas versteckt auf dem großen Friedhof. Nur kurz vor dem Grab gibt es überhaupt ein Hinweisschild und wir haben es am Ende nur durch Google Maps gefunden. Nett ist, dass es neben dem Grabstein eine kleine Gedenkstätte gibt die mit Gedichten von Heinz Erhardt geschmückt ist. So macht auch der Besuch an einem Grab Spaß und man freut sich über die unglaublich tollen Reime.
Von diesem Navi hatte ich mir echt mehr versprochen. Wenn man die Wege etwas kennt, merkt man schnell, wie oft es an den schönen Strecken vorbeifährt und einen an langweiligen Hauptstraßen radeln lässt. Und das, wo nur wenige Meter daneben schöne Fahrradwege gibt. Viele Wege kennt es einfach gar nicht. Das schrägste habe ich auf einer seit Jahren ausgewiesenen Fahrradstraße in Hamburg erlebt. Es findet perfekt den Einstieg in die Fahrradstraße, um einen dann kurz danach rechts auf eine vierspurige Hauptstraße zu leiten und dann nach 700 Metern wieder zurück auf den Radweg zu lenken. Sowas ist echt Müll. Benutzt man zum Vergleich Google Maps, ist dieses viel exakter und findet auch viel schönere Fahrradwege. Das Geld hätte ich mir echt sparen können, zum Glück war es gebraucht. Einziger Vorteil ist die Akkulaufzeit. Mit 7-8 Stunden ist man wirklich gut dabei und bis zum Tagesziel auf der sicheren Seite. Das man bei strahlendem Sonnenschein das Display nicht so gut lesen kann ist technisch bedingt normal, denn sonst würde der Akkuverbrauch dem des Handy ähneln.
Weniger ist mehr. Das sagt sich so leicht. Jeder hat nur zwei Satteltaschen und mehr nicht. Da das Wetter auch etwas Regen angekündigt hat muss man schon genau überlegen was man mit nimmt und was man zu Hause lässt. Auch gewichtsmäßig wollen wir die alten Felgen nicht überlasten, denn ein Speichenbruch muss nicht sein. Von den Steigungen reden wir am besten jetzt noch gar nicht :-)
Im Moment kochen wir uns durch das Buch Body Kitchen von von Flying Uwe, Flavio Simonetti und Rafael McStan. Wenn man keinen Sport dabei macht, sollte man sich nicht wundern, wenn die Fernbedienung bald wieder auf der höchsten Erhebung des Körpers pendelt und den Blick auf den Fernseher versperrt. Als absoluter Gegentrend zum derzeit gerne durch alle Zeitschriften gejagten Kohlenhydratverzicht wird hier das zu sich genommen, was sich die Muskulatur bei ordentlicher Belastung als Energieträger wünscht. Wenn man dabei auf die Qualität und Herkunft der Zutaten achtet, dann macht das richtig Spaß.
Der erste Teil der Strecke geht aus der Stadt raus und ist eher unspektakulär. Auffallend ist, das es nicht zum viel Speckgürtelindustrie gibt und die Landschaft gleich sehr schön wird. Das Auto haben wir am Friedhof geparkt, denn in der Stadt sind Parkplätze rar oder teuer.
Die Radstrecke geht bis kurz vor Trient komplett auf einem Wall lang. Ab und an kommt man recht nah an die Autobahn ran aber es ist doch deutlich leiser als wir vorher gedacht haben. Wieder prägen Obst und Wein das Landschaftsbild. Wobei man merkt das die Obstflächen langsam weniger werden und der Wein die Überhand gewinnt. Der Baustil ändert sich und man fühlt sich mehr wie in Italien. Auch die Sprachgrenze müssen wir irgendwann passiert haben, denn nun wird fast ausschließlich Italienisch gesprochen. Auf der Strecke nach Trient gibt es mehrere gute Rastplätze und Restaurants, so dass man unmöglich verhungern oder verdursten kann.
In Trient übernachten wir im Al Cavour 34. Die "Herbergsmutter" ist super nett, gibt viele Tipps und spricht viele Sprachen. Die Zimmer sind reduziert, stilvoll eingerichtet und in einem Top-Zustand. Beim Frühstück gibt es einen selbst gebackenen Kuchen. Die Räder parken sicher in einem Gewölbe unter dem Haus.
Nach dem genialen Frühstück geht es bei strahlender Sonne zurück an die Etsch. Der Weg ist gut ausgeschildert und wer es auf dieser Strecke schafft sich zu verfahren, hatte am Vorabend nur zu viel Vino. Der Teer ist ohne jegliche Frostschäden, so dass man auch mit dem Rennrad eine perfekte Trainingsstrecke hätte. Heute treffen wir nur wenige E-Biker, sondern viele ältere Herren auf vielen wunderschönen Rennrädern. Passt alles perfekt in die Landschaft. Die Strecke führt durch Weinstöcke und ein kleinere Orte.
Wir beginnen den nächsten Tag früh, denn so kann man Sirmione ebenfalls noch ohne den Massenansturm von Touristen ansehen. Eigentlich richtig hübsch hier. Beim Blick in die Therme erfahren wir das es dort ein latenight Angebot gibt. Die Therme soll dann fast leer sein. Damit steht schon mal das Abendprogramm.
Zurück im B&B greifen wir unsere Räder und schieben sie durch die uns nun entgegenkommenden Menschenmassen raus aus dem Ort. Die Besitzer der Restaurants und Eisdielen sind definitiv alle Milliardäre und wir gönnen es ihnen, denn die täglichen Horden an Badelatschen und Motiv-T-Shirts muss man erst mal über sich ergehen lassen. Wem noch Inspirationen für das nächste Tattoo fehlen, hier bekommt man alles geboten was das Herz begehrt.
Auf dieser Strecke gibt es zwar viele Radwege aber diese kreuzen wir eher und trotz Recherche haben wir keinen geschlossenen Gesamtweg für diesen Tag gefunden. So verlassen wir uns auf das Garmin Edge und folgen ihm bedingungslos.
Verona ist wirklich sehenswert und ein Tag ist definitiv zu wenig. Auf dem Pizza delle Erbe mit der Arena von Verona haben wir ein Führung durch die Arena gebucht. Die Stunde geht schnell
rum und man erfährt viele Dinge zu dem Bau, den Gladiatoren und der Zeit, in der sie gebaut wurde. Beim nächsten mal werden wir noch Museen dran hängen aber an einem Tag schafft man einfach
nicht mehr. Wir besuchen noch die Gräber der Scaligeros, Julia Balkon, den Torre dei Lamberti und wandern über die verschiedenen Brücken. Am Abend haben wir über 20 Kilometer zu Fuss hinter
uns. Als Fahrradbegeisterte besuchen wir natürlich noch Chesini. Hier sind nicht nur viele Fahrräder und
Bekleidung zu bestaunen bzw. kaufen, sondern die Räume sind auch einen Besuch wert. An den Wänden befinden sich urlaute Malereien die liebevoll restauriert sind. Da man zwischen den Räumen wegen
der Malereien keinen Durchbruch schlagen wolle sind es sozusagen zwei Geschäft. Kommt man aus der Stadt befinden sich die schöneren Malereien bei Chesini in dem zweiten Eingang.
Auch moderne Bikeläden wie Twelve gibt es und wer ein hippes Singlespeed und passende Klamotten
sucht, ist dort richtig. Die Musik kommt ebenso passend über den Plattenspieler.
Als wir durch Verona laufen, fällt einem die Vielzahl an Rädern und Herstellern auf. Von einigen hat man noch nie gehört. Einige Logos und Räder sehen so toll aus, dass man am liebsten auf den Eigentümer gewartet hätte, um ihm das schöne Stück abzukaufen.
Irgendwann hört auch die schönste Tour auf. Zeit für ein kleines Resümee. Die Orte wie Bozen, Trient, Rovereto und Verona sind alle eine Reise wert und man kann in allen viel mehr Zeit
verbringen. Die Radwege waren (bis auf die Einfahrt nach Verona und da waren wir und das Garmin Navi vielleicht auch nur zu doof um eine bessere Strecke zu finden) perfekt ausgeschildert und in
einem sehr guten Zustand. Wir hatten auf jeden Fall zu viel Kartenmaterial mit.
Das gastronomische Angebot ist ein Genuss und man kann jeden Tag zwischen einer Vielzahl an Gerichten wählen. Beim Frühstück sind einige Unterkünfte nicht auf Müsli, Ei und Brötchen eingestellt
aber das sollte einen nicht stören. Hier passt man sich einfach dem Land an und wer immer alles wie Zuhause haben möchte der verwischt das Schöne an den kleinen regionalen Unterschieden. Einfach
genießen und entdecken, jede Kultur hat eine Geschichte und man kann sich öffnen und lernen.
Die Menschen auf unserer Tour waren auffallend freundlich und gut gelaunt. Ob es am guten Wetter lag oder einfach das Naturell ist, werden wir gerne freiwillig wieder testen.
In allen Unterkünften waren wir als Radfahrer willkommen und auch wenn es ab und an zuerst keine Möglichkeit gab die Räder sicher unterzubringen, war immer schnell eine Lösung gefunden.
Die Landschaft ist mit den Bergen, Burgen, kleinen und großen Orten, dem Obst- und Weinbau, den Seen und dem Flüssen perfekt für eine Radtour. Wer eine etwas längere Strecke fahren möchte kann
schon vor Bozen beginnen. Ebenso muss Verona nicht das Ziel sein, sondern die Toskana oder Venedig liegen in erreichbarer Entfernung.
Es war schön würde es am Ende nicht annähernd umschreiben. Das beste was man sagen kann ist, dass wir alle wieder eine Tour fahren werden.